Trend vegane Ernährung: Chance für die Landwirtschaft?
Kein anderer Bereich im Lebensmittelsektor wächst so schnell wie der für Ersatzprodukte tierischen Ursprungs1. So summierte sich 2020 bundesweit der Umsatz von pflanzlichen Lebensmittel-Alternativen auf rund 800 Millionen Euro2. Insbesondere Pflanzendrinks wie Hafer- oder Sojamilch stellten die beliebteste Produktgruppe dar; mit einem Rekordwachstum von 40 % pro Jahr3, 4. Auch Fleischalternativen auf Soja- , Weizen-, oder Erbsenbasis werden immer beliebter. Gleichzeitig werden in Deutschland 60 % der landwirtschaftlichen Fläche nur für den Anbau von Futtermitteln für Nutztiere bewirtschaftet5. Welche Chancen ergeben sich dennoch vom veganem Trend für die heimische Landwirtschaft?
Immer mehr vegane Alternativen landen auf deutschen Tellern
10 Millionen Menschen in Deutschland ernähren sich vegan oder vegetarisch, 2 % der Bevölkerung bereits rein pflanzlich. Mehr als die Hälfte der Deutschen reduziert bewusst tierische Lebensmittel, Tendenz rapide steigend6. Immer mehr Menschen können sich mit tierfreien Alternativen anfreunden, die sich in den letzten Jahren geschmacklich und ihrer Textur deutlich verbessert haben7. Der Bundesvorstand des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sieht diese Entwicklung als Chance für die heimische Landwirtschaft. Leguminosen (=Hülsenfrüchte) wie Erbsen, Lupinen sowie Soja- und Ackerbohnen als alternative Eiweißquellen stehen voll im Trend und bieten den Betrieben neue Wertschöpfungspotenziale8. Aber nicht nur heimische, sondern auch überregionale Feldfrüchte werden immer wichtiger: So stellt zum Beispiel die Firma Licorne GmbH aus Altenburg in Thüringen bio-vegane Frischcremes auf Cashew- und Mandelbasis her9. Zwei Agrarprodukte, die in unseren Breitengraden (noch) nicht gedeihen. Primäre Einflussfaktoren für die Kaufentscheidung sind aber Verfügbarkeit, Preise und die Bildsprache. Kriterien wie Umwelt, Tierwohl und Gesundheit sind den Kunden nur zweitrangig10.
Alternative Eiweißpflanzen punkten aber besonders in Sachen Biodiversität: Die Hülsenfrüchte reichern Stickstoff aus der Luft im Boden und sparen dadurch teuren Stickstoffdünger ein (=Gründüngung). Dies können sich Landwirte im Rahmen des „Greenings“ der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) als ökologische Vorrangfläche anrechnen lassen, um Zugang zu entsprechenden Fördermitteln zu erhalten. Auf der anderen Seite schränkt diese Richtlinie die Landwirte massiv in der Sortenwahl ein. So ist zum Beispiel der in der Kritik stehende Soja von einer Förderung ausgenommen. Zusätzlich wird mit Inkrafttreten der GAP-Sonderrichtlinie für das Jahr 2023 primär der Anbau von Weizen gefördert, der nun zwei Jahre hintereinander möglich ist11. Der Anreiz, Leguminosen als Zwischenfrüchte anzubauen, sinkt daher kurzfristig, bis eine novellierte Richtlinie beschlossen wird.
Soja als ökologischer Faktor
Für die Steigerung des Sojaanbaus sind dies zunächst keine guten Vorzeichen. Die Hülsenfrucht stammt zu 80 % aus dafür gerodeten Regenwaldflächen in Südamerika und wird fast ausschließlich für die Tierfutterindustrie verwendet. Eine Ausweitung des heimischen Anbaus ist insbesondere den Herstellern veganer Produkte wichtig. Diese greifen vorwiegend auf Soja-Quellen aus EU-Ländern wie Österreich, Frankreich oder Italien zurück. Zwar erlebte der Soja-Anbau in Deutschland zwischen 2008 und 2022 einen Aufschwung um das 50-fache der Anbaufläche, aber im Vergleich zur importierten Erntemenge entspricht dies gerade einmal 0,1 %12. Prof. Claas Nendel vom Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung erklärt gegenüber der BMBF-Initiative „bioökonomie.de“: „Eine Ausweitung des Sojaanbaus in bislang kühleren Regionen erweitert die Möglichkeiten für die Landwirtinnen und Landwirte, ihre Fruchtfolgen diverser zu gestalten und damit das Risiko wetterbedingter Ertragseinbußen zu mildern und die Artenvielfalt zu erhöhen“13. Der Soja kann also nicht nur zum ökologischen, sondern zum wirtschaftlichen Faktor werden.
Die Ernährungsindustrie treibt den Wandel voran
Mit Blick auf die fleischverarbeitende Industrie gewinnen auch hier direkte Konkurrenzprodukte auf pflanzlicher Basis zunehmend an Bedeutung. Neben Hülsenfrüchten haben sich auch Produkte auf Grünkern- oder Getreidebasis am Markt etabliert. Dazu zählt insbesondere das Weizenprotein Seitan, welches aus Gluten besteht und eine fleischähnliche Konsistenz besitzt. Die Rügenwalder Mühle GmbH erwirtschaftete 2020 erstmals mehr Umsatz mit veganen und vegetarischen Fleischalternativen als mit klassischen Aufschnitten. Und dass, obwohl das Unternehmen erst 6 Jahre zuvor in die Produktion von Ersatzprodukten eingestiegen ist. Nicht nur die Produktionsmengen, auch die Akzeptanz bei Konsument:innen stieg in den letzten Jahren stark an, wie eine Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung ermittelte. Andererseits lag 2019 der Marktanteil für herkömmliche Fleischprodukte rund 15 mal über dem der pflanzlichen Alternativen. Die Stiftung geht dennoch davon aus, dass vegane Ersatzprodukte das „Nischendasein“ allmählich verlassen und in der Mitte der Gesellschaft einen festen Platz finden werden.7
Was sind mögliche Zukunftsperspektiven?
Global wird eine Ausweitung des Marktanteils veganer Ersatzprodukte von 3% auf 25 % bis 2040 prognostiziert.12 In Anbetracht der bedeutenden kulturübergreifenden Rolle von tierischen Lebensmitteln und der unzähligen anderen Funktionen von Nutztieren (z.B. Herstellung von Kleidung, Kosmetika oder Haushaltsprodukten) wird der Anbau von Futtermitteln für die Tierindustrie immer eine wichtige Rolle spielen13. Für ein diversifiziertes Produktangebot und in der Folge resiliente Wertschöpfungsketten benötigen Landwirte jedoch mehr Anreize für die Ausweitung des Anbaus von Leguminosen. Eine Erhöhung der entsprechenden GAP-Fördermittel oder ein Nachfragesignal ausgehend von der Ernährungswirtschaft stellen wichtige Weichen. Die Senkung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte auf branchenübliche 7 % wäre für Verbraucher:innen ein entscheidender Kaufanreiz, um den steigenden Konsum noch stärker zu fördern. Pflanzliche Ersatzprodukte punkten aber schon jetzt in Sachen Regionalität und niedriger Umweltbeitrag – eine Chance für die heimische Landwirtschaft!
Alternative Eiweißquellen erschließen
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Kontakt aufnehmen1. https://biooekonomie.de/sites/default/files/2022-05/Biooekonomie_in_Deutschland_2022.pdf
2. https://vegconomist.de/markt-und-trends/der-pflanzenbasierte-markt-floriert-wachstum-in-deutschland-um-97-innerhalb-der-letzten-2-jahre/
3. https://www.kern.bayern.de/recherche/311893/index.php
4. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1185175/umfrage/umsatz-mit-pflanzlichen-milchersatzprodukten-in-deutschland/
5. https://www.dbfz.de/fileadmin/morebio/Veroeffentlichungen/Sektorstudie_Ernaehrungswirtschaft_MDR_LR_DBFZ.pdf
6. https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsreport2020.html.
7. https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Boell_Fleischatlas2021_V01_kommentierbar.pdf
8. https://www.spiegel.de/wirtschaft/vegane-ernaehrung-bauernpraesident-sieht-eine-chance-fuer-die-landwirtschaft-a-960771a1-2071-40e1-82b5-c6d5bbd8ea8e
9. https://lalicorne.de/uber-uns/
10. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/ausnahmen-gap-2023-2080660
11. https://www.transgen.de/lebensmittel/599.sojabohnen-deutschland-anbau-importe.html
12. https://biooekonomie.de/nachrichten/neues-aus-der-biooekonomie/klimawandel-erfordert-zuechtung-neuer-sojasorten
13. https://www.nature.com/articles/s43016-022-00489-9.epdf
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Autor:in
Lukas Metzger-Lindner
„Hallo, ich bin Lukas und arbeite bei der PIC im Projektmanagement. Die aktive Gestaltung von regionalen Innovationsprojekten der Green Economy treibt mich in meiner täglichen Arbeit an – umso cooler, das in einem harmonisch-dynamischem Team tun zu können.“